Der Neptunbrunnen

Imposant und stolz ragt er aus dem Wasser: Neptun, die Tunika über die Schulter geworfen, einen Dreizack in der rechten Hand haltend. Er steht auf einem Ross mit Fischschwanz, das sich wiehernd aus den Fluten bäumt: Es hat Neptun an die Oberfläche gebracht, der gerade einen Fuß auf die felsige Erde setzt – ein sprudelnder Wasserschwall unter seiner Brust lässt diese Bewegung erahnen.

Ich befinde mich im Alten Botanischen Garten in der Nähe des Hauptbahnhofs und ich muss gestehen, dass ich diesen versteckten Park bisher immer nur hinein spähend passiert, doch noch nie betreten habe. Da hatte ich etwas verpasst – denn in der Mitte der vier Hektar großen Anlage weitet sich das riesige Brunnenbecken mit seinem Namensgeber Neptun. Er wurde 1937 von Josef Wackere gestaltet – in der heroischen Pose des athletischen Gottes ahnt man den Zeitgeist dieser Tage.

Neptun: Der Gott der Gewässer

Der römische Gott Neptun ist die Gottheit der fließenden Gewässer, der entspringenden Quellen und des Wetters. Im 3. Jahrhundert vor Christus wurde er dem griechischen Gott des Wassers und des Meeres Poseidon gleichgesetzt. Neptun/Poseidon ist mit seiner Gewalt über das Wasser der zweitmächtigste Gott des Olymps nach Zeus – und dessen Bruder. Nach dem Sieg der olympischen Götter über ihre Eltern, die Titanen, teilten sich die drei Brüder Zeus, Poseidon und Hades die Welt: Zeus bekam den Himmel, Hades die Unterwelt – und Poseidon die Meere und Gewässer. Ungewöhnlicherweise wird Neptun hier als junger Mann darstellt, wird er doch in der Antike zumeist als bärtiger Mann in den besten Jahren abgebildet.

Zur rechten und linken Seite des Wassergottes stützen sich Tritonen an den Flanken des Pferdes. Diese Wasserwesen sollen dafür verantwortlichsein, gestrandete Seefahrer zurück ins Meer zu geleiten. Möglichweise sind sie an dieser Brunnendarstellung an Neptuns Seite angebracht, damit sie ihn nach seinem Austritt aus dem Ozean in diesen Brunnen wieder sicher in die Unterwasserwelt führen können. Mit einer Muschelschale, wie die rechte Tritonenfigur sie hier in den Händen hält, können diese Wesen das Meer aufwühlen oder wieder still werden lassen.

Das Pferd: Urgewalt des Wassers

In der Antike hat man grollend anrollende Meereswogen mit dem donnernden Hufschlag der Pferde aus großen Reitheeren verglichen. Wie zum Kampfe angerittene Heere oft die Siedlungen und den Ackerbau der Menschen vernichteten, kamen die Menschen auch mit der zerstörerischen, unbezähmbaren Kraft des Wassers in Berührung. Daher finden sich oft wilde, aufbäumende Pferdefiguren an Brunnen: Sie versinnbildlichen die Kraft und Gewalt, die Unzähmbarkeit des Wassers.

Einige Menschen nutzen das Becken des Neptunbrunnens heute gar als Schwimmbecken. Bei 35 Grad im Schatten ist es ihnen nicht zu verdenken. Ich stehe noch eine Weile vor dem stolzen Wassergott, lausche dem wilden Sprudeln des Wasserschwalls unter dem Kentaurus des Meeres und setze mich dann auf eine schattige Rasenstelle, um meine Mittagspause mit Blick auf den neuentdeckten Brunnenort zu genießen.

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