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Pfingstl, Santrigl, Hansl und Gretl: vergessene Pfingstbräuche in München
In dem Beitrag Das Geheimnis von Pfingsten haben wir einen allgemeinen Blick auf das Pfingstfest, seine Bräuche und seine religiösen Hintergründe geworfen. Dabei fällt auf, dass bis auf ein paar theatralische Einlagen in Gottesdiensten, die Bräuche sich stark auf das Weltliche konzentrieren. Es kommen viele Anspielungen auf alte Fruchtbarkeitsrituale zum Vorschein, rätselhafte Gestalten, die mit der mythischen Figur des Grünen Mannes verwandt sind, tauchen auf.
In diesem Beitrag möchte ich auf ein paar mittlerweile vergessene Bräuche in München aufmerksam machen, die sich um das Pfingstfest gruppierten. Sie belegen, dass auch hier dieses Fest genutzt wurde, um alte Vorstellungen vom Leben und der Natur zu zelebrieren.
Aus Moosach und Feldmoching ist die Sitte überliefert, am Pfingstsonntag bestimmten Leuten einen „Pfingstl“ oder „Pfingstlümmel“ aufs Dach zu setzen. Dabei handetle es sich um eine Strohpuppe, manchmal auch einen Besen oder ein Bündel aus vertrockneten Zweigen. Gerne suchte man sich als „Opfer“ Mägde aus, die aufgefallen waren, weil sie beim ersten Austrieb des Viehs verschlafen hatten oder überhaupt eher Eule als Lerche waren. Manchmal wurde ein Madl mit einem Pfingstl „bestraft“, die einem Verehrer einen Korb gegeben hatte oder gar einen Fremden einem Einheimischen gegenüber den Vorzug gegeben hatte. Dabei achtete man darauf, den Pfingstlümmel so anzubringen, dass die so Gescholtene ihn nur wiederum mit Hilfe eines Burschen aus dem Dorf abmontieren konnte. Dazu hatte sie einen kleinen Obulus zu entrichten. Bis und die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist dieser Brauch überliefert, dann hörte er auf.
Für den Pfingstmontag ist aus der Umgebung der „Santrigl“-Brauch überliefert. Ein rätselhafter Begriff. In Trudering erinnert die „Santrigelstraße“ daran, dass München und Umgebung das einstige Zentrum dieses Brauchs war. Der bayerische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller (1785 – 1852) wusste:
Der Samtregel, Collecte von Eyern, Butter etc., welche am Pfingsten die Hirten- und Pferde-Jungen von Mosach und Neuhausen, bey Gelegenheit eines possierlich-feierlichen Herumreiten in diesen Dörfern und im Lustschloss Nymphenburg, zu machen pflegen. Man nennt die Jungen, die diesem Aufzug beywohnen, Santrigl-Buabm, und Santrigl-Spruch die Verse, welche Anführer vor jedem Hause hersagt.
Dieser Brauch ist wohl auf eine mindestens seit dem 16. Jahrhundert notierte Tradition zurückzuführen, bei der man zur Pfingstzeit den Weidehütern der Besitzungen des Heilig-Geist-Spitals in München eine Naturalspende zukommen ließ. Diese wurde Santtrügl genannt. Zusammenhänge mit dem auch andernorts zu Pfingstzeiten überlieferten Pferdekulten sind gegeben.
Dass gerade Pferde- und Hirtenjungen in der Pfingstzeit eine besondere Rolle spielten, passt zu dem vermuteten vorchristlichen Hintergrund dieser Bräuche. Sie waren es ja, die die meiste Zeit abseits der Städte, nahe den Wäldern und mitten in der Natur ihren Aufgaben nachgingen. Der „Grüne Mann“ als Verkörperung der fruchtbaren Kräfte der Natur steht ihnen besonders nahe. Sowie Gott Pan den Hirten in der griechischen Mythologie.
Während man zu Anfang den Hirten die Gabe noch auf die Weide brachte, wandelte sich später der Brauch in einen typischen Heischebrauch, bei dem die Burschen an die Pforten der Klöster zogen und Lieder sangen und Sprüche aufsagten. Dass die jungen Männer dabei manchmal über die Stränge schlugen, kann am Strafregister der damaligen Zeit abgelesen werden. Hier maßten sich die Heischenden offensichtlich ein Anrecht auf Geschenke an – und entwendeten kurzerhand das, was ihnen ihrer Meinung nach zustand. Es kann gut sein, dass es Zeiten gab, in denen dieser Brauch sogar verboten war.
In den Münchner Ratsprotokollen heißt es mit Eintrag vom 10. Oktober 1611: „Auf fürstlichen Befehl wird der Sandrigl abgeschafft.“ Allerdings wurden solche Verbote nicht durchgehend beachtet. Spätere Aufzeichnungen zeigen, dass der Brauch durchaus auch weiterhin verfolgt wurde. Da man die Gaben notierte, wissen wir, dass im 18. Jahrhundert in nahezu allen umliegenden Dörfern westlich und nördlich von München weiterhin der Santrigl umging. Noch merkwürdiger: Die Spenden erfolgten zu einem großen Teil aus der Kasse des Kurfürsten Maximilian III. Joseph. Er aber hatte 1766 genau diesen Brauch ausdrücklich untersagt!
In dem Dekret des Kurfürsten wird ein weiterer rätselhafter Brauch angesprochen: das „Herumreiten des sogenannten Hänsel und Grethels“. Dabei handelt es sich den Ritus, zu Pfingsten ein Puppenpaar, selten auch ein lebendes Pärchen, auf einem von Pferden gezogenen Schleifrad sitzend im Dorf zu ziehen. In Moosach wird davon berichtet. Auf einigen Bildern der damaligen Zeit wird das merkwürdige Spiel von „Hansl und Gretl“ dargestellt – zusammen mit dem Kurfürsten selbst. Dieser hatte offensichtlich sein eigenes Verbot nicht besonders ernst genommen.
Sein Nachfolger Karl Theodor sah das offensichtlich etwas enger. So berichtet Lorenz von Westenrieder 1783:
Am Pfingstmonntag kommen von den benachbarten Dörfern einige Trouppen junger Baurenkerls geritten, und auch zu Fuß, in die Stadt, und führen mit sich ein männliche und weibliche Maske, Hans und Krede genannt, welche sich über ein herumlaufendes Rad, an dessen entgegen gesetzten Enden sie festgemacht sind, einander die Hände geben. Die Anführer sagen vor den Häusern einen gereimten Spruch herab, nach welchem alle zusammen jauchzen. Doch ist die seit kurzem aufgehoben worden.
Felix Dahn (1834 – 1912) verbindet in seiner Beschreibung des Santrigl-Brauches auch die in anderen Gegenden bekannte Tradition des Wasservogels. Ganz sicher ist das nicht. Aber möglich. Dazu soll der fauste Knecht ausgewählt worden sein oder jener, der als Letzter beim Frühgottesdienst erschienen war. Als Strafe wurde er in Laub, Stroh und Schilf gehüllt. Begleitet von einer Truppe weiterer Burschen zieht er dann von Haus zu Haus, sammelt Gaben ein und singt Lieder und sagt Sprüche auf. Schließlich führt man den Wasservogel, wie der vermummte Knecht genannt wird, an einen Teich geführt und hineingeworfen. Manchmal wird auch eine Strohpuppe „geopfert“, der man einen hölzernen Schnabel umgebunden hat. Später wird um diesen Schnabel gespielt. Wer ihn gewinnt, nimmt ihn als Schutzzauber gegen Blitz und Feuer mit nach Hause, wo er auf den First der Scheune genagelt wird.
Erst 1828 kam das endgültige Verbot. Der Grund: Konkurrierende Sandrigl-Gruppen aus Moosach und Neuhausen verwickelten sich vor dem Schloss Nymphenburg in eine Rauferei um die Gaben. Eine Wiederbelebung des Brauches in den 80er Jahren hat sich wohl nicht durchgesetzt.
Quelle: Volkskultur in München, München 1997
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