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Maria und die Jagd auf das Einhorn
Maria und das Einhorn
Eine merkwürdige Darstellung begegnet uns auf mittelalterlichen Teppichen und Wandgemälden: Maria und die Jagd auf das Einhorn. Das Einhorn gilt als besonders sanftmütiges Geschöpf. Im Mittelalter herrschte jedoch die Vorstellung, das Einhorn sei ein sehr starkes und vor allen Dingen äußerst aggressives Wesen. Wer es fangen wollte, der musste schnell sein und sich auf einen heftigen Kampf einstellen. Es sei denn, er hatte eine Jungfrau zur Hand. Denn in Gegenwart einer reinen Jungfrau würde das Einhorn sanft wie ein Lamm. Schließlich legt es seinen Kopf in den Schoß der Jungfrau und lässt sich leicht überwältigen.
Hildegard von Bingen erklärt das in ihren Physica (7. Buch, 5. Kapitel) so:
(Das Einhorn) frisst reine Kräuter, und beim Gehen macht es gleichsam Sprünge, und es flieht den Menschen und die übrigen Tiere außer denen, die von seiner Art sind, und deshalb kann es nicht gefangen werden. …
Und den Mann fürchtet es besonders und weicht ihm aus, wie die Schlange beim ersten Sündenfall dem Mann auswich und auf die Frau schaute. So weicht auch dieses Tier dem Mann aus und schaut nach der Frau. …
Denn wenn das Einhorn von fern ein Mädchen sieht, wundert es sich, dass es keinen Bart hat, und wenn zwei oder drei Mädchen zusammen sind, wundert es sich umso mehr und wird umso schneller gefangen, solange es seine Augen auf sie richtet.
Das Einhorn im Schoße der Jungfrau: ein Christussymbol
Das Motiv der Einhornjagd wurde schon früh mit Maria als keusche Jungfrau verbunden. Das Einfangen des Einhorns steht für die Menschwerdung Gottes. Maria sitzt in einem von einer Mauer oder einem Zaun umschlossenen Garten, dem hortus conclusus. Erzengel Gabriel, nicht selten als Jäger dargestellt, verkündet der Jungfrau, sie sei auserwählt „unter den Weibern“. Maria empfängt das Einhorn, das nicht nur sein Horn bedeutungsvoll in Richtung ihres Schoßes lenkt, sondern hin und wieder auch das Christuskind zeigt, das auf dem Fabelwesen reitet.
Das Einhorn: das friedlichste aller Wesen
Das Einhorn ist eines der am weitesten verbreiteten Wunderwesen. Schon im alten China verband man mit ihm die Tugenden eines Herrschers. Es lebt einsam im Wald und sein Körper strahlt Licht aus, seine Stimme ertönt wie die einer heiligen Glocke. Im Gegensatz zu seinem abendländischen Verwandten ist es so friedlich von seinem Wesen her, dass es nicht einmal Pflanzen etwas zuleide tun kann. In seiner Gestalt verkörpern sich Güte und Weisheit – und langes Leben, denn es kann 1000 Jahre alt werden. In östlichen Überlieferungen ist das Einhorn die Verkörperung des Guten und überwindet alles Böse.
Auch die Bibel erwähnt es an einigen Stellen, auch wenn es sich sehr wahrscheinlich um Fehlübersetzungen handelt. Ungeachtet dessen fand das Fabeltier auf diese Weise Eingang in die christliche Ikonographie, dort vor allen Dingen als Sinnbild von Keuschheit und Reinheit, passend zur Jungfrau Maria. Die liebevolle Güte dieses Tiers kam wieder zur Geltung, doch musste man es erst zähmen. Dem Horn des Einhorns sprach man entsprechende Wunderkräfte zu. So soll es vergiftetes Wasser anzeigen können und gegen allerlei Krankheiten feien.
Wunderkräftiges Horn, magische Hufe
Ktesias, der im 4. Jahrhundert vor Christus lebte, berichtete von einem weißen Pferd mit einem heilkräftigen Horn. Er war es auch, der berichtetet, dass es nur von einer Jungfrau gefangen werden könne. Plinius wiederum bemerkte, dass unter dem wundervollen Horn ein Karfunkelstein wachse, der alle Wunden schließen könne. Auch sein Herz, so der Schriftsteller, sei ein ausgezeichnetes Heilmittel.
Auch Hildegard wusste Bescheid und riet:
Zerkleinere die Leber eines Einhorns und gib dieses Pulver in Fett beziehungsweise Schmalz, das aus Eidotter bereitet ist, und mach so eine Salbe. Und es gibt keinen Aussatz, welcher Art auch immer er sei, der nicht geheilt würde, wenn du ihn mit dieser Salbe einreibst, es sei denn, der Aussatz ist der Tod jenes Erkrankten oder Gott will ihn nicht heilen. …
Mach aus der Haut des Einhorns einen Gürtel und gürte dich damit auf deiner Haut, und in dieser Zeit wird dich kein schlimmes Übel oder Fieber schädigen.
Mach auch Schuhe aus seinem Fell und zieh sie an, und du wirst in dieser Zeit immer gesunde Füße und gesunde Beine und gesunde Nieren haben, und kein Übel wird dich unterdessen verletzen, denn dieses Fell ist von großer Wirkkraft und Gesundheit durchdrungen.
Insbesondere die Hufe des Einhorns waren wertvoll, denn mit ihnen, so die gelehrte Äbtissin, könne man Gift in Speisen erkennen:
Denn der Huf des Einhorns ist wegen des häufigen Laufens und seiner Schnelligkeit reiner und gesünder als sein restliches Fleisch und hat deshalb eine bestimmte Kraft in sich, durch die er dem Gift solche Angst einjagt, dass es kocht und raucht.
Alle unsere Bildbeispiele stammen aus der Sammlung an Wandteppichen des Bayerischen Nationalmuseums.
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