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Das Geheimnis des Rappenecks
Das Rappeneck
Schräg gegenüber dem Ruffinihaus, Ecke Sendlinger Straße entdeckte ich letztens auf einem steinernen Rundbogen das Relief eines Pferdes. Stolz spannt es den Hals und hält den Kopf zur Seite geneigt. Darunter liest man „Rappeneck“ aus dicken Steinbuchstaben. Ich fragte mich, woher diese Straße ihren Namen bekam.
Wurden an jenem Eck vor Kraft strotzende schwarze Pferde aufgezäumt und mit Lasten beladen? Standen hier einst Stallungen oder wurde ein Pferdemarkt abgehalten? Ich begab mich auf die Suche nach der Namensursache und fand Erstaunliches heraus:
Mit Pferden hat dieser Ort in München rein gar nichts zu tun. Der ursprüngliche Name dieser Stelle lautete „Rabeneck“. Im Laufe der Stadtentwicklung hatte sich eine Wortveränderung eingeschlichen, die ein Geheimnis aus dem wahren Grund der Namensgebung macht. Und dieser ist nichts für schwache Nerven.
Kein schwarzes Ross
Eben in der Sendlinger Straße, gerade dort, wo sich heute in der neuen und chicen Hofstadt Bioläden und teure Taschengeschäfte aneinander reihen, befand sich im Mittelalter eine (!) der Hinrichtungsstätten in München. Die von den Bewohnern der Stadt gefürchteten und geächteten Henker führten dort ihren grausigen Beruf aus. Nachdem der zu Bestrafende gehenkt wurde, ließ man seinen Leichnam einfach am Galgen baumeln – ein Verbrecher hatte keine Beerdigung verdient, außerdem sollte dieser furchtbare Anblick zur Abschreckung dienen: „Sieh’ was dir blüht, handelst du ungesetzmäßig!“
Löste sich nach der Hinrichtung die schaulustige Menschentraube auf, kamen sie: Die Raben. Die Aasfresser tummelten sich in großer Zahl um den baumelden Toten und begannen, sich über seine sterblichen Überreste herzumachen. Bald wurde der Ort um die Richtstätte daher „Rabeneck“ genannt. Auf unseren „Rabenschwarzes München“-Touren könnt ihr diesen Ort mit den Stadtspürern entdecken.
Der Rabe – verehrt und verhasst
Der Rabe oder die Krähe (beide zu den Rabenvögeln gehörend und lautmalerisch nach ihrem krächzenden Schrei benannt) wurde bei den heidnischen Germanen und bei einigen Indianerstämmen beispielsweise einst hoch verehrt, bevor sich ihr „Image“ im Mittelalter und durch die Christianisierung verschlechterte.
Der heidnische Gott Odin wurde stets von zwei Raben begleitet, die den Wert der Gedanken und der Erinnerung symbolisieren sollten. Odin schickte seine Begleiter hinaus in die Welt, um sich von den weisen Vögeln über die Lage der Welt informieren zu lassen. In den mystischen Erzählungen einiger Indianerstämme gilt der Rabe gar als Schöpfer der Erde, der in seinem Schnabel Sonne, Mond und Sterne zum Himmel getragen hat.
In der Bibel taucht der Rabe erstmals negativ auf: Noah soll den Vogel, damals noch weiß gefiedert, von der Arche aus auf die Erde gesandt haben, damit er ihm mitteile, ob die Flut schon zurückgegangen sei. Der Rabe fand auf seiner Reise eine verlockende Futterstelle und überlies Noah seinem Schicksal. Daraufhin soll Noah den treulosen Raben verwünscht haben: „Dein Gefieder soll schwarz werden wie mein [enttäuschtes] Herz“, fluchte er, woraufhin der verräterische Rabe zu seinem düsteren Aussehen gekommen sein soll.
Sendbote von Tod und Teufel
Nachdem sich diese in der Bibel schon unheilvoll dargestellten schwarzen Vögel nun auf den im Mittelalter häufigen Hinrichtungsstellen tummelten und sich an den Leichen labten, wurde der einst verehrte Vogel zum „Galgen-“, zum „Totenvogel“. Bald fürchteten die Menschen die Verbindung zwischen Raben und Tod, sah man sie doch so oft in der Nähe der Toten. Krächzte ein Rabe auf dem Dach eines Kranken, so dachte man, würde dieser bald von der Krankheit dahingerafft werden. Flog einer dieser „Unglücksvögel“ drei Mal um ein Hausdach, würde einer der Hausbewohner binnen weniger Wochen sterben. Bald wurden diese nun negativ behafteten Vögel auch den angsteinflößenden Hexen als Begleittier angedichtet; ja, der Teufel selbst soll sich als düsterer Totenvogel verwandelt an seine Hexen wenden. In riesiger Zahl wurde der Rabe daraufhin verfolgt und getötet, demonstrativ an Ställe und Häuser genagelt, um das Böse abzuschrecken.
Mit meinem neuen Wissen passiere ich heute wieder die Sendlinger Straße. Mir wird ganz anders, wenn ich mir vorstelle, was sich am Rappeneck/Rabeneck, an dem ich nun kurz innehalte, einmal abgespielt hat. Wie viele Menschen an jener Stelle ihr Leben ließen. Welch grausiges Schauspiel das Festessen der Raben hier gewesen sein muss. Mich fröstelt, ich schlage meinen gerade erst heraus gekramten Herbstmantel zu und gehe die Sendliger Straße entlang. Froh, sie in heutiger Zeit passieren zu können.
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