Das Geheimnis des Kruzifix in der Frauenkirche

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Das Geheimnis des Kruzifix in der Frauenkirche

Das Licht, das unseren Dom zur Lieben Frau durchwebt verwandelt die himmelwärts strebenden achtkantigen Säulen an manchen Tagen in schimmernde Kristalle. Die Mystik der Frauenkirche ist nicht düster und bedeutungsschwer, sondern liegt im Geheimnis dieses Lichtes begründet, das inmitten aller Erhabenheit Gefühle von Leichtigkeit weckt. Und so scheint auch das monumentale Kruzifix über dem Altarraum zu schweben, trotz seiner offenkundigen Schwere. Es wurde im Jahr 1954 von Josef Henkelmann erschaffen.

Der Gekreuzigte

Es zeigt den Heiland als den Gekreuzigten, als einen, der sich in sein Schicksal gefügt hat und den Kelch des Leidens angenommen hat. Zugleich aber blicken wir in ein Gesicht, das nicht von Schmerzen verzerrt, sondern hinter den geschlossenen Augen wie nach innen blickt. Vielleicht ziehen vor seinem geistigen Auge angesichts des nahenden Ende die Bilder des eigenen Lebens an ihm vorüber, vielleicht aber blickt er schon in die Zukunft, dem Wunder er Erlösung entgegen. Dieser inwendige Blick birgt ein Geheimnis: in all dem Gräuel gibt es diesen einen Augenblick der Erkenntnis, in all dem Leiden einen Moment der Stille, an dem sich die Verwandlung in einen höheren Zustand vorbereitet.

Es wird vom Opfertod Christi gesprochen. Er sei für die Erlösung unserer Sünden gestorben. Ob wir nun Christ sind oder nicht: darin ist ein religionsübergreifendes Mysterium verborgen. Opfer bedeutet, etwas zu geben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Ich gebe einen Teil von mir auf, ohne Aussicht darauf, dass die entstehende Lücke sogleich adäquat gefüllt wird, denn das wäre eher ein Tauschgeschäft oder ein Handel. Der Sinn des echten Opfers besteht darin, die Leere zuzulassen. Ich schaffe mit meinem Opfer lediglich den Platz für etwas, das nicht in meiner Macht liegt, das ich nicht haben kann, nur weil ich es will – es muss mir zuteil werden. “In deine Hände befehle ich meinen Geist“, klingt es im Psalm, und Jesus wiederholt diese Worte im Lukas-Evangelium, bevor er stirbt.

Odin und der Weltenbaum

In vielen Kulturen gibt es die Vorstellung, dass erst ein wahres Opfer den Weg zur Erlösung ebnet. So lernte der nordische Gott Odin die Geheimnisse des Lebens, des Schicksals und der Magie, indem er sich selbst opferte.

Ich weiß, dass ich hing
An windigem Baum
neun ganze Nächte,
vom Speer verwundet
und Odin geweiht,
ich selbst mir selbst,
an diesem Baum,
von dem niemand weiß
aus welcher Wurzel er sprießt.

Dieser geheimnisvolle Baum ersetzt das christliche Kreuz. Es handelt sich um die Weltenesche Yggdrasil, an deren Wurzeln die Schicksalsgöttinnen, die Nornen, sitzen und die den Kosmos zusammenhält, aber auch unterteilt. Durch dieses Selbstopfer erringt Odin die Kenntnis der Runen. Zwischen beiden Welten schwebend, zwischen Leben und Tod, öffnet sich die Pforte zu Geheimnissen der Welt.

Im Tarot wird der Gehängte zumeist anders darstellt: Wir sehen einen Menschen, der an einem Fuße aufgehängt ist, und zwar an einem Balken, der zwischen zwei Bäumen angebracht wurde. Damit gleicht er wiederum unserem  Christus in der Frauenkirche, der in der Mitte zwischen zwei Säulen aufgehängt ist. In Gegensatz zu Christus ist er aber nur Gehängter, kein Gehenkter, denn offenkundig soll diese sicherlich unbequeme Lage nicht zum Tode führen. Möglicherweise ist es die Darstellung eines Rituals, in dessen Verlauf der Adept sich in eine dem Tode ähnliche Lage bringt, um diesen Augenblick der unbedingten Hingabe, die in jedem echten Opfer steckt, zu erleben. Christus bezahlt diesen Augenblick vordergründig mit dem Tod, doch schon nach drei Tagen wird er wieder auferstehen. Das Geheimnis des Opfers ist das Geschenk der Auferstehung, die den Tod besiegen wird. Ob nun Christus am Kreuz, Odin am Weltenbaum der Gehängter im Tarot – eines haben sie gemeinsam: sie begeben sich in eine Situation der Hilflosigkeit, Aussichtslosigkeit, aus der sie verwandelt hervorgehen werden.

Die Prüfung

So wird der Gehängte in all seinen Ausprägungen zum Symbol für die Prüfungen, die wir tagein, tagaus bestehen müssen, weil sich das Leben nicht immer in die Richtung bewegt, in die wir uns das wünschen, und das die Akzeptanz von Leiden einen Augenblick in sich trägt, in dem Verwandlung und damit Erlösung möglich ist. Dies kann man nicht verordnen, sondern es ist eine sehr persönliche Entscheidung, die jeder Einzelne immer wieder aufs Neue treffen muss: Wenn wir wieder mal in eine missliche Lage kommen, ob freiwillig, unfreiwillig, unverschuldet oder selbst verschuldet, dann haben wir immer auch die Möglichkeit, diese als Prüfung zu sehen, und damit als Chance auf Weiterentwicklung.
Das Kruzifix in der Frauenkirche solltest du als Gesamteindruck der ganzen Frauenkirche erleben. In den Tagen vor Ostern ist es in aller Regel verhüllt, sodass nach Ostern wieder die besten Gelegenheiten sind, sich meditativ in seinen Anblick zu vertiefen.

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CAW

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